Rückblick und Ausblick
nach vier Jahren Präsidentschaft in der WPV

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Da Sie alle die sachlichen Jahresberichte der letzten vier Jahre haben, kann ich mir hier einen eher subjektiven Rückblick erlauben.

Als ich im November 2000 den Vorsitz der WPV übernommen habe, war die Unterstützung größer als die erschwerenden Umstände, die allerdings ernsthafte Überlegungen verlangten, weshalb ich mich für dieses Ehrenamt zur Verfügung stellte. Neben den privaten Gedanken darüber ergab dieses Nachdenken einige Anhaltspunkte, die mir als GRATWANDERUNGEN

  • zwischen Kontinuität und Erneuerung,
  • zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Wahrung der Kerninhalte der Psychoanalyse und
  • zwischen Aufgeschlossenheit gegenüber neueren internationalen Entwicklungen und Konzentration auf Wien und die WPV erschienen und die ich Ihnen in meiner Antrittsrede vorgestellt habe.

Rückblickend waren es – vor allem anfangs -  keine gemütlichen Höhenwanderungen, sondern Gratwanderungen durch manche stürmischen Zeiten und Unwetter, die sich aber allmählich etwas legten und neue Aussichten eröffnet haben.
Manches von den ursprünglichen Plänen ist  - zumindest ansatzweise – gelungen; manches hat den großen Bedarf bei uns allen aufgezeigt, die emotionalen Wurzeln unserer Einstellungen zu reflektieren und unser psychoanalytisches Wissen auch für uns selbst zu nützen;  und manches wird wohl in den kommenden Jahren verwirklicht werden können.

So hat es z.B. Ansätze zu inhaltlichen Diskussionen gegeben, welche die Vermutung bestätigt haben, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Orientierungen bei einer konkreten Auseinandersetzung mit Publikationen geringer sein können als erwartet. Aber eine echte Diskussionskultur zu entwickeln bedarf sicherlich eines längeren Zeitraums, ist nie in dauerhafter Perfektion erreichbar und hängt von der Bereitschaft und Fähigkeit der Mitglieder ab, andere Sichtweisen anzuhören, mit den eigenen Gedanken in Beziehung zu setzen und sie zu artikulieren und sich erst dann für eine Ausweitung der eigenen Sicht oder aber für eine Abgrenzung zu entscheiden. Vielleicht kann in Zukunft diesem mühsamen Prozess gerade dank der entlastenden organisatorischen Strukturen mehr Raum gegeben werden als bisher.

Das Bemühen, unser analytisches Wissen in Diskussionen lebendig zu erhalten und wachsen zu lassen, ist eng verbunden mit einem anderen Aspekt von Kontinuität und Erneuerung, nämlich dem der Ausbildung unserer Kandidatinnen und Kandidaten. Sie sind nicht nur phantasievoll, sondern auch unendlich feinfühlig und hellhörig, und das hat sie das hoch-emotionale Klima in der Vereinigung oft ahnen und manchmal auch fürchten und meiden lassen. (Ich ziehe es vor, mehr an die erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit der Kandidaten als an eine Durchlässigkeit und subtile Einflussnahme der Lehranalytiker zu glauben). – Ein solches dichtes emotionales Klima mag das Schreiben von Abschlussarbeiten manchmal erschweren. Ein erfolgreicher Versuch, dem etwas entgegenzuwirken, war sicherlich das Seminar von Univ.-Prof. Dr. Gertraud Diem-Wille zur „Arbeit am Probevortrag“, das sehr pragmatische Hilfestellungen angeboten und die bisherigen vorgesehenen Möglichkeiten, sich mit Dr. Vera Ligeti im Hinblick auf die Themen zu beraten, ergänzt hat. Es gab in den letzten Jahren mehr Abschlüsse als zuvor. Was noch nicht gelungen ist und eine der zukünftigen Aufgaben sein wird, ist, die Kandidatinnen und Kandidaten wieder mehr einzubeziehen, indem sie sich wieder Vertretungen wählen und so eine bessere Kommunikation von Bedürfnissen und Informationen in beiden Richtungen zu ermöglichen; dazu bedarf es aber auch zweifellos eines eigenen Schritts zur Selbständigkeit seitens der Kandidaten. Die Zusammenarbeit des Vorstands mit dem Lehrausschuss unter der Leitung von Prim. Dr. Wilhelm Burian war immer äußerst konstruktiv und erfreulich, wofür ich mich herzlich bedanken möchte.

Auch die bereits erwähnten zahlreichen Versuche organisatorischer und administrativer Regelungen gehören zur Gratwanderung zwischen Kontinuität und Erneuerung. Die Etablierung von Geschäftsordnungen, einer Tarifordnung, der Aktualisierung von Statuten, der sorgfältigen Überwachung unserer Finanzen durch Dr. Peter Skriboth, die computertechnischen Aufrüstung mithilfe von Dr. George Brownstone waren alles Bemühungen, unsere bisherigen Erfahrungen zu sammeln, zu überdenken und bis auf weiteres festzulegen; ohne die unermüdliche Beharrlichkeit von Dr. Christine Diercks wären wir damit nicht auf dem heutigen Stand. Auch diese Arbeiten werden mancher Ergänzungen, Präzisierungen und unter Umständen auch Änderungen bedürfen, aber wir haben nun eine stabile Grundstruktur.

Auch mit der Verschönerung unseres Sekretariats haben wir begonnen. Es wird jedoch zu den vordringlichen Aufgaben des neuen Vorstands gehören, die räumlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten der WPV zu prüfen und langfristige Lösungen zu suchen, die unserer Arbeit einen nützlichen und würdigen Rahmen geben sollen. Dabei denke ich natürlich auch an unser Ambulatorium, das weiter gedeihen und sich entfalten soll.

Damit bin ich bei einer der wichtigsten Errungenschaften dieser vier Jahre: das Ambulatorium hat nun nicht nur Sitz, sondern auch Stimme im Vorstand. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn man die jahrelange intensive klinische Arbeit dieser Gruppe von Kollegen bedenkt, aber es hat dennoch Zeit gebraucht, dafür ausreichende Anerkennung zu gewinnen. Zwar hatte Mag. Monika Huber auch schon vorher verstanden, ihrer Stimme mit Klugheit, Diplomatie und Konsequenz Gehör zu verschaffen, aber dieses Recht ist nun auch in unseren Statuten verankert.

Eine andere besonders bedeutsame Neuerung, die wir erreicht haben, ist die Vorbereitung zur Etablierung eines Ausschusses, der sich mit ethischen Fragestellungen befasst. Die Arbeitsgruppe „Professioneller Codex“ hat zuerst unter Univ.-Prof. Dr. Springer-Kremser und dann unter Dr. Franz Huber die aufwendige Ausarbeitung von Ethikrichtlinien und Verfahrensregelungen nach internationalem Standard durchgeführt. Erst vor wenigen Tagen ist ein Schreiben von Prof. Jorge Canestri, dem Vorsitzenden der Ethikkommission der IPA, an die WPV eingetroffen, das mit Nachdruck auf die Notwendigkeit verweist, dass jede zur IPA gehörige Vereinigung einen solchen eigenen Ausschuss hat. Diese Forderung von außen unterstützt lediglich unsere eigene Überzeugung vom Nutzen eines solchen Gremiums, das nur die Aufgabe hat, die für die Psychoanalyse günstigsten Arbeitsbedingungen im Interesse von Patienten, Kandidaten und Kollegen zu beachten.

Was die Öffentlichkeitsarbeit betrifft, haben wir manche Vorträge allgemein  zugänglich gemacht, aber es gab keine Möglichkeit für neuerliche Initiativen wie etwa den früheren Einführungskurs. Vielleicht wird der neue Vorstand dafür Gelegenheit finden. Erfreulicherweise sind die psychoanalytisch-pädagogischen Samstage in Wien und in Graz mittlerweile Tradition geworden; vor allem das Symposion in Graz unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Minauf ist jedes Mal mit 160-200 Teilnehmern ein beachtlicher Erfolg und wir hoffen, dass diese Brücke zwischen Graz und Wien weiter ausgebaut werden kann.

Die dritte Gratwanderung war wahrscheinlich die mit den erfreulichsten Ausblicken. Wir konnten sowohl viele internationale Kontakte herstellen oder festigen als auch die besondere, historisch bedeutsame Rolle Wiens zur Geltung bringen. So hat die erfolgreiche Mitteleuropäische Tagung 2002 auf dem Semmering die Weichen für den Weiterbestand dieser deutschsprachigen Konferenz gestellt, wenn auch unter neuem Namen als „Internationale deutschsprachige Tagung“. Damals auf dem Semmering habe ich als vage Hoffnung den Plan angekündigt, in oder bei Wien (ähnlich wie in Delphi) alle 4 Jahre ein kleines Symposium abzuhalten, dass den historischen Bezügen und der Originalsprache der Psychoanalyse gewidmet sein sollte; vielleicht kann diese Idee versuchsweise 2006 erstmals realisiert werden. Auch das zwischen nordamerikanischen und  europäischen Kollegen alle 2 Jahre stattfindenden Treffen (NAPSAC) soll 2006 auf dem Semmering stattfinden, und 2008 ist in Wien der EPF/Konferenz anlässlich des 100jährigen Bestehens der WPV geplant.

Abschließend möchte ich allen, die mich in diesen vier Jahren unterstützt haben, herzlich danken, besonders auch unserer Sekretärin Frau Mag. Gudrun Wolfgruber. Da es keinen Wahlvorschlag gibt, wird die stellvertretende Vorsitzende Frau Dr. Christine Diercks mit dem Vorstand die Geschäfte der WPV bis zur nächsten ordentlichen Generalversammlung weiterführen. Wenn also auch die Frage der Nachfolge im Vorsitz noch offen ist, so habe ich doch die Freude, einen sehr gut funktionierenden Vorstand zurückzulassen.

In diesem Sinn verabschiede ich mich als Vorsitzende von Ihnen und wünsche der WPV eine gute Weiterentwicklung.

Sylvia Zwettler-Otte                                                                                30. November 2004   

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